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Zur Präsentation des Projektes »UNTER EINBEZIEHUNG DER ÖFFENTLICHKEIT«
am 14. Oktober 1993 in der Galerie Pro Arte, Hallein
von Hildegard Fraueneder, Kunsthistorikerin

In den Kommentaren zur Situation zeitgenössischer Kunst findet man heute vermehrt
die These von der Beliebigkeit der künstlerischen Positionen. Diese Kommentatoren beschwören
das Ende der Ideologien und der Innovationen. Eine andere Gruppe von Kuratoren und Kritikern
versucht eine Kunstform öffentlich zu machen, welche in sich verschiedene gesellschaftliche
Positionen aus den unterschiedlichsten Bereichen aufnimmt und transformiert.
Vereinfacht könnte man es mit Peter Weibel so bezeichnen, dass heute wieder versucht wird,
die Kunst an das Gesellschaftliche wieder anzudocken.

Darin enthalten ist natürlich die Tatsache, dass man sich heute wieder die Frage nach der
gesellschaftspolitischen Funktion von Kunst stellt, nach der Rolle, welche die Künstler und
Künstlerinnen in dieser Gesellschaft einnehmen. Diese Statusunsicherheit, von der allerdings
nicht nur die Künstler und Künstlerinnen betroffen sind, kann zu neuen Produktionsmodis führen;
ähnliches kann man auch in den theoretischen Schriften über Kunst verfolgen, wo in die
Produktion des Textes die Selbstreflexion der eigenen Position immer häufiger mit einfließt.

Um den Bedingungen, die zu neuen Produktionsweisen führen, auf den Grund zu gehen,
genügt es nicht allein, die allgemeine Krise der Kunst und des Kunstmarktes anzuführen,
sondern zu fragen, auf wen eine Krise welche Auswirkungen hat. Eine Antwort darauf kann
ich nicht dahingehend formulieren, dass in dieser Krise es Frauen wären, deren Kreativität
sich innovativ in neue Zusammenhänge ausströmt, da die Auswirkungen einer Krise allgemein
für Frauen massiver sind, denn damit würde ich der These Vorschub leisten, dass Kreativität nur
in misslichen Situationen sich entfaltet, eine These, die in die Bewertung der sogenannten
"Ostkunst" immer mit eingeflossen ist.

Doch die Tatsache, dass sich hier 6 Künstlerinnen zu einer Produktionsgruppe für ein Projekt
zusammengeschlossen haben, mit welchem ein neuer Dialog zwischen Kunst und Bevölkerung,
der hier auch einer zwischen der Metropole und einer Region ist, stattfinden kann, sagt viel
darüber aus, wer sich nun dieser Selbstreflexion stellt. Das Befragen der Bevölkerung hier,
ob ihre Stadt Kunst braucht, beinhaltet diese Frage nach der Funktion von Kunst.
Fragen ist aber zugleich auch ein sich öffnen und diese Frage »Braucht Hallein Kunst?« schließt
die Selbstreflexion mit ein. Mit der hier praktizierten Öffnung der Bevölkerung gegenüber
veränderte sich  - auf den ersten Blick - nicht  die Kunst selber - sie wird auch nicht zu irgend
etwas anderem als Kunst. Was ist aber hier anders, ist überhaupt etwas anders?

Versuchen wir zu rekonstruieren:
Ein Teil der Halleiner Bevölkerung, nach einem Zufallsprinzip ausgewählt, füllte den Fragebogen
mit ihren persönlichen Statement aus, und die Künstler-innen reagierten auf ihre Antworten.
Würde man dieses Reagieren wiederum als eine Form des Antwortens verstehen, so läge in
dieser Verdoppelung lediglich eine erneute Bestätigung von Kunst als autonome und die Autorität 
unangefochten bei den Künstlerinnen. Sozusagen durch eine Hintertür schliche sich gratis eine
mehrheitlich bestätigte Brauchbarkeit von Kunst ein. Aber es sind nicht Antworten ausgestellt,
sondern Werke eines Projektes, welches von einer Art Recherche ausgehend, Quellenmaterial
verwendete, die dieser Ort, in welchem die Kunst hier situiert wird, lieferte. Dadurch kann sie
auch als Instrument der Selbstbeobachtung gesehen werden. Das Quellenmaterial, also die
Antworten der Bevölkerung, sind gestaltet als Plakatwand, sie ist das Verbindungsglied zu den
Werken und zugleich auch ihr Rahmen. Mit diesem Projekt wurde ein außerhalb der Kunst
liegender Kontext mit kunstinternen Frage- und Problemstellungen verschränkt, ein Vorgehen,
mit welchem nicht Wirklichkeit dargestellt wird, - nicht die Gesinnung der Halleiner ist hier dargestellt,
sondern über diese Verschränkung zweier Kontexte wird Wirklichkeit gestaltet, soweit, dass es
möglich wurde, das Verhalten/Verhältnis von beiden Seiten zueinander zu ändern. So wie sich
diese Werke zu Ihnen, die sich dieser Frage gestellt haben, anders verhalten, verhalten auch
Sie sich anders diesen Werken gegenüber - und wenn auch nur die Neugierde ein andere ist.

Das gesamte Ausstellungsprojekt verläuft entlang eines Dialoges zwischen einer auf eine
eindeutige Formulierung festgelegten Sprache und einer Symbolsprache, wobei selbst in vielen
Werken diese Eindeutigkeiten der Begriffe in Frage gestellt sind. Sie befragen die Struktur der
Sprache selbst, die uns in so vielen Situationen als logisch und wirklich erscheint, die aber selbst
dualistisch angelegt ist, indem sie sich auf ein Objekt und zugleich auf sich selbst bezieht.
Nachvollziehbar werden diese semantischen Widersprüchlichkeiten in den konstruierten
Gegensatzpaaren, wie sie Nora Bachel in ihrer Installation der Duplizierung des Fensters zeigt:
Welches ist hier echt? und welches ist hier Kunst? Ist dann das davorgestellte Objekt nicht mehr
als Fenster zu bezeichnen? Ihre Fragestellung beruht auf dem Zitat »Wenn nicht echt ist, ist Kunst« entnommen dem Buch von Helga Glantschnig, einer Sammlung von Schulaufsätzen sog.
Gastarbeiterkinder, die die ihnen fremde Sprache noch ohne die von uns erlernten Konventionen
verwenden und dadurch viel offensichtlicher in den Dualismen der Begriffe verstrickt sind.
Versucht man nun außerhalb der Sprachebene eine Form der Interpretation zu finden, so gerät
man sehr schnell in die Versuchung, diese Installation als pädagogische zu bezeichnen.
Doch genau diese Feststellung führt uns wieder zum Ausgangspunkt der gegebenen Frage -
und Antwortsituation zurück, welche die gesellschaftlichen Projektionen, was Kunst zu leisten
habe, mit thematisiert.
Diese hier ausstellenden Künstlerinnen träumen mit ihren Werken nicht einseitig den alten
utopischen Traum von der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst, sondern bringen die
Imaginationen, Erwartungshaltungen und Projektionen beider Seiten zur Sprache.

Dieses dialogische Verfahren kann man vor allem auch in der Installation der Brotdosen und
Wassergläser erkennen, für welche jede Künstlerin eine Dose und eine Serie Gläser gestaltet hat,
dass der Dialog auch innerhalb der jeweiligen künstlerischen Positionen stattfindet.
Den semantischen Kreis hier bilden die Begriffe körperliche versus geistige Nahrung, Wasser und
Brot als Synonym für das existenziell Notwendigste schlechthin - im Dialog stehend auch mit der
Antwort eines Halleiners, der mit der Gegenfrage »Braucht ein Fisch Wasser?« auf diese
existenziellen Grundlagen verwies.

Mit der Metapher für Gefängnisnahrung stellen sich die Fragen nach den Überlebensbedingungen
von Kunst - innerhalb eines Ghettos, oder außerhalb?, ist Kunst als Luxus zu bezeichnen, auf den
man in Krisenzeiten verzichten kann, was aber, wenn sie selbst in eine Krise schlittert?
Und wie ließe es sich dann rechtfertigen, verlangt man nun von ihr, uns Existenzielles und
Elementares zu vermitteln, ist man doch ständig versucht, den KünstlerInnen die existenzielle
Grundlage zu entziehen?
»Wie ein Bissen Brot«, die deutliche Einschrift von Margot Pilz in eine dieser Dosen plaudert nicht
allein von der brotlosen Kunst, sondern stellt den Tauschwert selbst zur zur Diskussion, während
Barbara Höller mit der Widerspiegelung des Brotstückes einerseits auf das Sebstreferenzielle von
Kunst, das sich ständig auf sich wiederbeziehende und aus sich heraus speisende verweist,
aber mit dem Spiegel zugleich auch die Vorstellungen des Außen miteinbezieht.
Um das genauer zu erläutern, möchte ich  ihr Bildprojekt Spiegelsucht besprechen, da sie hier mit
geteilten Figuren arbeitet, halb Spiegel, halb mit Eitempera verdeckt, die sie als sich ergänzende
Figuren gegenüberstellt, und damit auch auf die Vorstellung der Vollkommenheit und Vollständigkeit
von Kunst eingeht, und es ist unsere Vorstellung, denn wir werden zudem BetreiberInnen dieses
Formspieles, wenn wir die Figuren imaginär zusammensetzen.

Lidia Fiabanes Hautbilder verweisen auf eine andere Art auf Dualismen, indem sie einerseits Figuren
auf den Bildgrund aufstempelt, als Figuren des Außen, die eingebunden erscheinen und dennoch
diesem fremd und außerhalb bleiben. Schwerelos zeugen sie von der Zweiansichtigkeit von NO,
das spiegelbildlich zu einem ON wird. Diesem dunklen Hautgrund, dessen Atmosphäre der
Meeresoberfläche ähnlich ist, stellt sie ein fotorealistisch gemaltes Selbstporträt am Wasser
gegenüber, eingehend auf Rezeptionshaltungen der Bevölkerung (Z.B. die Antwort: »Aber bitte
realistische Kunst!«
), aber die Frage stellend, wie beredt ein Bild wann ist und ob nicht Bilder
generell und unabhängig von den Realismen erst dann zu sprechen beginnen, wenn wir als das
Gegenüber aktiv werden.

Auch in der Installation der Künstlerin Brigitte Lang treffen wir erneut auf unser eigenes Verlangen.
Auf den an die Wand montierten Alukästen führt sie einen sprachlichen Diskurs zwischen den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft, denen sie Texte über die Umwelt, ihrer elementaren
Bedeutung und über ihre zivilisatorische Zerstörung zuordnet. Auch auf den Tellern am Boden
finden sich Begriffe, die Elementares bezeichnen aber gleichzeitig auch als Zierde der Teller wirken. (»Hunger«, »Die soziale Plastik«, »Château Petrus«, ...)
Aber was ziert die Teller? Wir finden Namen und Hinweise auf KünstlerInnenpersönlichkeiten und
Kunstrichtungen, deren Werke sich geradezu dem entziehen, was Kunst und Zierde gemein haben,
nicht aber verhindern können, dass man sich mit ihren Namen und den damit verbundenen
Konnotationen ziert.
Auf den Tellern wird zoomartig die gesamte Kunst- und Kulturgeschichte serviert, die ihrerseits den
Begriff "Zivilisation" definiert und dadurch wieder den Dialog zu den eingravierten Texten aufnimmt.
Unser Verlangen, weder Banales noch Rohes, als Kunst aufgetischt zu kriegen, führt mich zurück
zur Installation von Nora Bachel, die vor das Fensterobjekt alltägliche Kunstmaterialien auflegt:
Kunststein und Kunstleder davor, ein Kunstrasen dahinter. Der sprachliche Diskurs führt hier von
Kunst, über Kunststoff zu Kunstmüll bzw. Sondermüll, wobei der ideelle Wert scheinbar einzig
Kunst zu rechtfertigen imstande ist, und wäre sie nicht so "verehrungswürdig", würde sie bloß die
Umwelt belasten.
Dies thematisiert sie mit den Bildobjekten, indem sie Kunstdüngerstäbchen in verschiedene
Materialien unterschiedlich einbindet und zusammen mit den Fotografien den Diskurs ausweitet
auf das Fragen nach den ideellen Werten, die ein Mehrwert sind - alternierend zu Kunstdünger -
Werte, die in unserem Kulturkreis in erster Linie patriarchalisch geprägt sind. Daran schließen sich
unendlich viele Fragen an, und um nur auf eine zu verweisen, nämlich der nach der kulturpolitisch
geprägten Verehrung des männlichen Künstlergenies.

Zwei unterschiedliche Vorgangsweisen eines visuellen Gestaltens von Sprache, ohne dass diese
ihre ursprüngliche oder beabsichtigte Botschaft ganz verlieren würde, zeigen die Arbeiten von
Regina Hadraba und Margot Pilz. Regina Hadraba zeichnet einige Antworten der Bevölkerung nach,
eine für den Augenblickder Auswahl Aneignung von Sätzen, die sie mit dem zeichnerischen Umraum
in einen anderen Kontext stellt, und dadurch auch das lineare und eindeutige Verfügen über Sprache,
das Verfügbar machen von Bedeutungen selbst zur Diskussion stellt.

Margot Pilz verwendet als Ausgangspunkt für ihre Videoinstallation die extrem reduzierte Sprache
des Telefonbuches, bei welchem unser Gebrauchen von dessen Ordnung bestimmt ist und auch
darauf reduziert scheint. Die Künstlerin versucht nun, dieser Sprachregelung eine andere
Ausdrucksform zu geben, um auf weitere Botschaften hinzuweisen, die auch in diesem Namens-
und Nummernverzeichnis stecken: auf welche Nationalitäten verweisen Vornamen, auf welche
die Nachnamen, was kann aus dem Geschlecht der Vornamen auf die Verbindungen zweier Kulturen
geschlossen werden, sind die Frauen mit arabischen Nachnamen geschiedene, Männer mit
arabischen Vornamen und verbreiteten österreichischen Nachnamen jene, die immer mit dem
Vorwurf behaftet bleiben, sie hätten sich mit einer Heirat die Aufenthaltserlaubnis erschwindelt?
Das Telefonbuch wird zum Ausdruck von demographischen Verhältnissen, aufschlussreich mit ihrer
Namenssammlung über die Offenheit einer Region. Die Künstlerin durchbricht mit ihrer Gestaltung
die allgemeine Anonymität der verzeichneten Personen, sie hebt heraus, vergleichbar der
Abrufbarkeit aller digital gespeicherten Daten, und, indem sie Auszüge aus dem Videotape noch
einmal als Bilder auf die Wände verteilt, analogisiert sie grafische Muster mit demografischen und
kulturellen Mustern, an denen wir unser Verhalten zur Nationalitätendiskussion im Rahmen der
politischen Ereignisse zusammen mit dem neuen Asylgesetz neu und immer wieder zu
befragen haben.

Auf dieses ständige und erneute Fragen verweist dieses Ausstellungsprojekt. Brauchbarkeit,
Funktion und Wirksamkeit von Kunst sind weder historisch feststehende Positionen noch sind sie
quer durch alle Klassen und Nationen die gleichen. Und immer sind es auch mithin unsere
Projektionen, die Erwartungen und Urteile über Kunst bestimmen und auch das, was wir in den
jeweiligen Werken erkennen und lesen. Diese zu irritieren und einer ständigen Hinterfragung
auszusetzen ist mit diesem Projekt gelungen.

Hildegard Fraueneder
1993

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